Nach dem Reinfall von gestern kann ich heute vom krassen Gegenteil, einem vollen Erfolg zu berichten.

Es ist 19:30, in der Flughafenstraße in Berlin hat sich vor einem unscheinbaren Eingang ein Grüppchen Erwachsener versammelt, das darauf wartet, dass die “Lavanderia Vecchia” öffnet. Nicht dass diese Menschen etwas miteinander zu tun hätten, sie wollen einfach nur essen gehen. Und so, wie sie gemeinsam warten, werden sie auch den Abend gemeinsam verbringen. Denn Renate und  Andreas Hoffman haben ein Konzept nach Deutschland übertragen, das ich bisher nur in südlichen Gefilden miterleben durfte: Das Essen beginnt für alle um 19:45 Uhr, es gibt genau EIN Prix fixe Menü, und in dem Preis ist auch noch das Wasser sowie 1/2 Liter Wein enthalten.

Das Restaurant ist erst im zweiten Hinterhof zu finden, dort aber leuchtet es hell in der ansonsten totalen Finsternis. Ein fast schon Hoppersches Bild…

Wie sich das für eine italienische Waschküche gehört, hängt die frisch gewaschene Wäsche an Leinen von der Decke (noch eine Anmerkung zu den Bildern: Sie haben alle einen leichten Blaustich, da ich habe sie ohne Blitz aufgenommen habe, um die anderen Gäste nicht zu stören).

Heute mittag war ich zufällig in der Nachbarschaft, und weil ich schon mal da war, wollte ich mir gleich einen Tisch reservieren. Und irgendwie hatte ich Glück: In dem Moment, in dem ich nachfragte, sagte jemand anderes ab, und für heute gab es keine Warteliste. Im Gegensatz zu allen anderen Tagen zwischen heute und Weihnachten. 🙂

Der Abend fängt gut an: Nicht nur bekomme ich einen Tisch für mich alleine (ich hatte befürchtet, an einem großen Tisch sitzen zu müssen, die gibt es aber nicht), ich habe auch noch freien Blick auf oder in die Küche, die am Rande des Restaurants in den Raum integriert ist.

Das frisch gebackene, noch warme Brot schickt seine Aromen verheißungsvoll in den Raum, die Küche selbst ist nur durch Geräusche, nicht aber durch Gerüche zu bemerken. Zu dem Brot steht Olivenöl und Fleur de Sel auf dem Tisch, zum Selbstbedienen, nicht wie in anderen Restaurants in vorgegebenen homöopatischen Dosen.

Der erste Vorspeisengang kommt: Eine Wildschweinsalami mit geröstetem Speck an Feldsalat – Salame di cinghale e valeriana. Auf die großen Tische wird jeweils eine Schale mit den Vorspeisen gegeben, aus der sich dann jeder al gusto bedienen kann. Leider ist die Aufnahme komplett verwackelt, also gibt es hiervon kein Bild.

Neben mir plätschert leise die “Fontana di trevi” vor sich hin, eine manuelle Waschmaschine vom Beginn des letzten Jahrhunderts. Diese wird zum Ende des Abends noch in Aktion treten…

Der Wein präsentiert sich als artiger Essensbegleiter, allerdings muss man berücksichtigen, dass er bei den verwendeten Aromen und Gewürzen hin und wieder geschmacklich zurücktreten muss.

Zweiter Vorspeisen-Gang: Pasta riso con pepperonata, diese wie Reis aussehenden Pasta mit einer herzhaft angemachten Paprikasauce und – natürlich – Parmesan in Streifen. Richtig schlotzig schmecken sie, man könnte es fast für einen perfekten Risotto halten.

Und nahtlos geht es weiter: Drei verschiedene Bruschette, eine mit Gänseleber, eine mit Tomaten und eine mit Olivenpaste. Ich muss es einfach sagen, und das liegt nicht daran, dass sie zu meinen Leibspeisen gehört: Die Gänseleber ist von den Dreien das Beste, was ich in dieser Hinsicht in letzter Zeit gegessen habe. Und die anderen stehen ihr eigentlich in nichts nach… Der Abend wird schlimm enden!

Nächster Gang: Polenta mit Pilzen. Auch bei Polenta gilt: Sie muss schlotzig sein, fast breiartig, aber trotzdem auf dem Teller stehen. Das macht die hier präsentierte, und die Pilze, die die Polenta begleiten, sind in einem ganz leicht, aber gut gewürzten Soffrito angeschwenkt.

Der nächste Happen: Linsen mit Knoblauchspeck. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Schwein mag, und erst recht keinen Bauchspeck. Was mir aber hier vorgesetzt wurde, könnte dazu führen, dass ich vom Glauben abfalle: Das Fleisch zergeht auf der Zunge, und die Schwarte ist genau so kross gebraten, dass es knirscht, ohne dass man länger darauf herumkauen muss. Und erst die Linsen: Mit etwas Suppengemüse auf den Punkt gegart, mit ganz leichtem Biss und dem Schuss Säure, der für den absoluten Genuss notwendig ist.

Number next: Calamaretti fritti. Wozu die Zitrone auf dem Teller liegt, erschließt sich mir nicht, denn der Eigengeschmack der Calamaretti kommt hervorragend zur Geltung, und durch die Frische gibt es auch keinen fischigen Geschmack, der übertönt werden müsste. Nur ganz kurz sind sie frittiert, genau so lange, dass sie gar und köstlich zart sind.

Und es geht weiter mit Cavolfiore al forno, einem in Scheiben geschnittenen Blumenkohl, der im Ofen gegart wurde, begleitet von einer Balsamico-Reduktion. Handwerklich schön gemacht, für mich persönlich aber zu sehr auf der Kohl-Seite. Die mag ich einfach nicht.

Jetzt komme ich endlich dazu, einmal etwas über die Küche zu sagen: Absolut ruhig, ohne jede Hektik geht der Abend vor sich. Sicher, im Vergleich zu einem a la Carte-Restaurant fehlt der Stress der unvorhersehbaren Bestellungen, trotzdem ist die Organisation hier hervorzuheben. Ich glaube, hier würde es auch mir Spaß machen, in der Küche zu stehen (Andreas, das ist KEINE Bewerbung. Obwohl… 😉 ).

Weiter gehts… Cime di rape. Leicht auf der scharfen Seite angemacht, mit Kapern, Rosinen und Pinienkernen verfeinert, eine absolut stimmige geschmackliche Vielfalt. So etwas kann leicht ins Auge gehen, hier aber ist das Ergebnis wunderbar ausgewogen. Und wieder muss ich Abbitte leisten: Bisher habe ich um Rapa immer einen großen Bogen gemacht, weil für mich Brokkoli wie Blumenkohl zu den lässlichen Nahrungsmitteln zählt. So aber ist er mehr als nur genießbar, er schmeckt mir! Okay, Rape ist kein Brokkoli an sich, er  gehört nur in dieselbe Famile. Trotzdem…

Den Abschluss der Vorspeisen macht ein Süppchen vom Topinambur. Und es ist ein schöner Abschluss: Da es neben dem Topinambur keine weiteren Geschmackseinflüsse gibt, rundet die Suppe den Reigen ab, leitet gewissermaßen zu der ersten Hauptspeise über, indem sie sich zurücknimmt und den Gaumen auf die Genüsse vorbereitet, die da kommen werden.

Ich frage mich nur, wie ich den weiteren Abend verbringen soll: Eigentlich bin ich satt… aber was solls: Das Leben ist dazu da, genossen zu werden!  🙂

Primo

Raviolo di Gamberi. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll: Der Nudelteig ist exakt al dente, die Gamberi-Füllung drückt das Wesen der Gamberi aus, ohne sich in den Vordergrund zu spielen, und die Sauce ist einfach unbeschreiblich: Leicht süßlich, aber trotzdem mit starken Aromen (die an Fenchel oder Anis erinnern), mit Spitzkohl als Einlage… einfach göttlich. Da dieses Gericht von der Größe her den Vorspeisenportionen entspricht, verliere ich die Angst vor dem weiteren Verlauf des Abends. 😉

Secundo

Salmerino alpino – ich liebe italienisch! Wie profan klingt doch der deutsche Name gegen “Salmerino alpino”. Auch wenn ich den Saibling mag, vom Punkt der Vermarktung ist ihm der Alpenlachs doch eindeutig vorzuziehen.  😉

Waiting for the … Hauptgang.

Der auf der Haut gebratene Saibling ist genau so gegart, wie es sein soll: Glasig in der Mitte, am Rande des Auseinanderfallens, mit dem an Forellen erinnernden Eigengeschmack, der durch die kurz mitgebratenen Aromaten (Thymian!) nicht unterdrückt wird. Begleitet wird er von roter und gelber Beete, deren erdiger Geschmack einen tollen Kontrapunkt setzt, ohne den Fisch und die schön reduzierte Sauce zu übertönen.

Leider muss ich anmerken, dass mich der Fluch der 40 gleichzeitig zu servierenden Portionen getroffen hat: Die Haut meines Fischs war nicht mehr kross, sie hat aber nichts desto trotz so gut geschmeckt, dass ich sie gegessen habe.  🙂

Dolce

Tarta di zenzero e mandorle – Ingwer-Mandeltörtchen mit Quitte und Calvadoscreme.

Wie war das bei Lou van Burg? “Der Kandidat hat 100 Punkte!”

Habe ICH etwa gerade eine süße Nachspeise für gut befunden?
Nein, denn der Ingwer-Mandelkuchen schmeckt eher auf der bitteren Schokoseite, die Quitte schmeckt pfeffrig, und nur die Calvadoscreme bringt so etwas wie eine süße Note mit ins Spiel. Die Nachspeise ist also nicht in dem Sinn süß, und dann darf ich sie auch goutieren! 😉

Was ist mir noch aufgefallen? Ich finde es nett, dass heutzutage auch Minister und Staatssekretäre (beiderlei Geschlechts) wieder als Privatleute essen gehen können, ohne Begleitschutz, ohne schwarze Limo, einfach als Gleiche unter Gleichen.

Und es ist irgendwie bezeichnend, dass nur sehr wenige Teilnehmer des Abends den Rauchsalon aufgesucht haben. Dafür waren das zu 100% Frauen…

Kaffee, Espresso (oder besser caffè) und Digestive werden an der Bar ausgeschenkt, dies bietet die Gelegenheit, sich mit anderen Gästen und den Gastgebern zu unterhalten. Nach dem Bezahlen an der Kasse kommt die Fontana di trevi zum Einsatz: Sie ist die Kasse für das Trinkgeld. Und wer dieses in Scheinform geben will, nutzt einfach die Miniatur-Wäscheklammern.

Mein Fazit? Muss ich wirklich eines schreiben, ist etwa meine Überzeugung, zu der ich heute gekommen bin, nicht deutlich geworden? Wäre ich Berliner, hätte ich hier einen Stammplatz. So werde ich nur jedes Mal, wenn ich in Berlin bin mindestens einmal hierher kommen. Wenn ich einen Platz ergattern kann. 😉

Heut’ geht’s mir gut! 😎

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